[Welt am Sonntag vom 12. Oktober 2003]

 

Sie bringen 350 Jahre Berufserfahrung mit. Das macht die Senior-Berater vor allem eines - unabhängig. Sowohl geistig wie finanziell.

Mit 67 Jahren in die Rente? Aber frühestens! Bei der H+H Senior Advisors Gesellschaft für Strategische Unternehmensberatung ist die Altersgrenze 70 Jahre, und es wird jedem der noch sieben, bald aber vielleicht zehn Berater schwerfallen, sich daran zu halten. Sie alle haben sich nach einer erfolgreichen Karriere entschlossen, auf eigene Rechnung und unabhängig zu arbeiten, und möglichst auch nicht mehr jeden Tag.

"Sieben Tage im Monat sollte ich arbeiten, hat man mir gesagt, jetzt sind es eher sieben Tage in der Woche", mault Hans Klingel, 66, einst in der Geschäftsleitung bei Trumpf in Ditzingen, nun Berater in der Altherrenriege und Werkzeugmaschinenspezialist. Bei seinen zahlreichen Beratungsaufgaben entwickelt er immer mal nebenbei ein Patent, für das weder er noch seine H+H-Kollegen Geld sehen. Das wurmt nicht nur den Schwaben, der 1952 als Lehrling bei Trumpf angefangen hat.

"Wir müssen dafür was berechnen, auch für die Wertsteigerung, die durch unsere Arbeit bei den Unternehmen entsteht", sagt Günter Wilhelm, 67, bis zu seiner Pensionierung im September 2000 im Vorstand der Siemens AG. Er ist zwar Hesse von Geburt, aber zu verschenken hat er schließlich auch nichts. Vom Honorar gehen üblicherweise 20 Prozent in die Gemeinschaftskasse, den Rest behält der, der den Job übernommen hat.

Dabei ist Geld das Letzte, um dass es den Herren geht. Um Partner bei H+H zu werden, müssen viele Voraussetzungen erfüllt werden, und die wichtigste von allen ist die finanzielle Unabhängigkeit. "Wir sind nicht wirtschaftlich abhängig von unseren Auftraggebern", sagt Claus Dieter Hoffman, 61, einst Finanzchef bei Bosch und nun Kopf und Initiator des außergewöhnlichen Beraterunternehmens. Als er mit 60 bei Bosch in den Ruhestand trat, war es für ihn Zeit, etwas Neues anzufangen. Mit eigenem Zeitplan. Ohne Chef. Und auch zum Spaß. Aber nicht nur.

Die Herren sind leistungsorientiert, selbst im nominellen Rentneralter. "Dass ich bessere Werkzeugmaschinen bauen will als die Konkurrenten der Unternehmen, die ich berate, darauf können Sie aber Gift nehmen", sagt Ex-Trumpf-Mann Klingel. Bei Sechs-Spindel-Drehautomaten macht ihm keiner was vor. Die H+H-Herren können Klingels Fachvortrag nur mit Mühe folgen. Neulich hat der ehemalige Trumpf-Mann im Rahmen eines Zwei-Tage-Beratungsjobs eigenhändig den Laserkopf einer Werkzeugmaschine repariert, mit "Arm an Hand" wie er sagt. Die Rechnung, die er daraufhin schrieb, war "schon gut", freut er sich im Rückblick auf seine Handwerksleistung, und der dankbare Kunde hat auch prompt bezahlt.

Das H+H-Geschäftsmodell ist einfach. Die Partner, fast alle über 60 Jahre alt und in ihrem Berufsleben zu eigenem Vermögen gekommen, bieten ihre Beratungsdienste meist mittelständischen Unternehmen an. Wenn es sein muss, und immer öfter muss es sein, übernehmen sie auch das Management auf Zeit für in die Krise geratene Familienunternehmen. So ist Klaus Haager, 60, der einst wie Hoffmann bei Bosch schaffte, vier Tage in der Woche bei einem Unternehmen als Chef tätig, dem sonst jegliche Führung fehlte. Deshalb auch ist Hager heute beim Treffen der Herren nicht dabei, er muss auswärts arbeiten.

Im Normalfall ist der Auftrag begrenzt in Inhalt und Zeitaufwand. Die Herren stehen als Gesprächpartner für Familienunternehmer und deren angestellte Manager bereit, schaffen Gesprächgrundlage zwischen einander misstrauenden Parteien und liefern auch schon mal Seriosität, wenn nervöse Bank-Bedienstete Kreditlinien streichen oder an absurde Bedingungen knüpfen.

Anwalt Brun-Hagen Hennerkes, 64, Partner bei H+H, in dessen Geschäftsvilla an Stuttgarts Stadtrand die Beraterfirma Untermieter ist, erzählt vergnügt ein Beispiel: Ein stadtbekannter Chefdarsteller hat sich als Retter eines Unternehmens angeboten, einen famosen eigenen Arbeitsvertrag entworfen, mit üppiger Sofortrente im Falle des Scheiterns und tatsächlich die meist regionalen Banken überzeugt, dem Unternehmen nur dann Geld zu leihen, wenn er der Chef würde. Hennerkes hat mit dem Mann geredet, freundlich, wie es seine Art ist, und ihn
dann rausgeschmissen aus Büro und Chefsessel. Die geballte Seriosität der Partner hat dafür gesorgt, dass die Banken trotzdem die Nerven behielten.

Doch dergleichen Späße sind nicht das Tagesgeschäft. Karl Ohlhoff, 66, ehemals Vertriebschef beim Heizungsbauer Vaillant, berichtet vom harten Arbeitsalltag der Senior-Berater. Da Unternehmer nun mal ausgeprägte und markante Persönlichkeiten sind, ist der Umgang mit
ihnen oft nicht einfach. Bei seinem schwersten Fall hängt derzeit "alles in der Schwebe." "Es war schon", berichtet Ohlhoff, "enorm schwierig, in eine zielgerichtete Diskussion zu kommen." Der eher widerwillig Rat suchende Unternehmer, in einem Nischenmarkt der Medizin und Gesundheit höchst erfolgreich tätig, tut sich schwer mit der Expansion in andere Märkte. Die Herren diskutierten, ob die angepeilte Ausweitung der Geschäftstätigkeit tatsächlich sinnvoll ist. Schließlich habe der Kunde schon "genug interne Baustellen".

Ob die beste Idee, das infrage stehende Neugeschäft einfach an einen anderen gründungswilligen Neuunternehmer abzutreten, sich am Ende in die Tat umsetzen lassen wird, bleibt für heute offen.

Ohnehin suchen die von vielen Problemen - darunter auch das der Wahl des eigenen Nachfolgers - bedrängten Mittelständler bei den Senior-Beratern oft nur einen Gesprächspartner, dem sie vertrauen. Manchmal wollen sie auch keinen Rat, sondern jemanden, der ihnen Widerworte gibt. Den Angestellten im eigenen Betrieb trauen die Unternehmer meist nicht über den Weg oder halten sie sowieso für inkompetent. Da hilft den Familienpatriarchen schon, wenn sie einmal im Monat mit ihrem externen Vertrauten telefonieren können. "Manchmal erfahren wir mehr als die Ehefrau", sagt Tilman Schad, 58, in seinem früheren Leben Geschäftsführer der Co-Create Software GmbH, einer
Tochtergesellschaft von Hewlett Packard, "darunter auch ganz private Sachen."

Da entsteht dann schon wieder ein Problem: Wie schreibt man für diese Dienste eine Rechnung?

 

Von Manfred Fischer

 

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